Pressespiegel Johannespassion 2013

Kann man oft Gehörtes ganz neu entdecken? Die jungen Musiker von „Chapelle de la Vigne“ gaben in der Augustinuskirche mit ihrer ganz speziellen Version der Johannespassion eine eindeutige Antwort. In historisch minimalistischer Besetzung ersetzten individualisierte Choräle die Wirkung der Massen, wurde alte Musik zu experimentell empfundenem Klanggeschehen.

(…) „Herr, unser Herrscher“– der pochende Rhythmus der Bässe nimmt das Hämmern der Kreuzigung vorweg, das Kontrafagott erweist sich dabei schon optisch als Bedrohung. Eng geführte Streicher vermitteln Todesahnung, martervoll tönen die Holzbläser. (…) (Die Sänger) absolvieren mit makelloser Virtuosität ein enormes Gesangspensum von Solist und Chorist in Personalunion und das still schwitzende Publikum in der voll besetzten Augustinuskirche lässt sich zwei Stunden lang von einer musikalischen Überraschung zur nächsten geleiten. Extremste Dynamik und rasante Tempi erzeugen eine ganz eigene Wirkung der Chorsätze, Verhör und Geißelung werden zu purer Dramatik. „Wir dürfen niemand töten“ bedrohlich wirkende Chromatik und hektische Instrumentalfiguren unterstützen die Erregung des Volks, die Forderung „Kreuzige“ gerät zur hasserfüllten Entladung, schneidend wird dieses Wort unzählige Male in den Kirchenraum geschleudert. Die Aussage „Wir haben keinen König, denn den Kaiser“ trieft vor Hohn, verängstigte „Wohin“-Einwürfe lassen einen schaudern.

Auch die durchweg facettenreiche Ausgestaltung der Arien begeistert. (…) Gegen Ende eröffnet der Chor „ Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine“ durch wechselseitiges Singen ein zutiefst empfundenes Raumklangereignis, (…) Tiefe Ergriffenheit bricht sich Bahn in stehenden Ovationen des Publikums.

 

Christine Bausch am 29.07.2013 in der Gmünder Tagespost